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2008 | ab 16


Jorun Thørring: Schattenhände
dtv · 383 Seiten · 14 € 

Im Mittelpunkt steht Orla Os, eine norwegische Rechtsmedizinerin, so ungewöhnlich wie auch ihr Name (auch für eine Norwegerin), die nach dem frühen Unfalltod ihres französischen Ehemannes in Paris geblieben ist und mittlerweile in Sonderfunktion bei der Kriminalpolizei ermittelt - eine Heldin also, die in etwa den gleichen Horizont und Zugang zu Problemen hat wie die Autorin selbst. Vielleicht ist die Geschichte deshalb so besonders überzeugend. Es entwickelt sich ein spannender Fall, in dem auch langsam die persönliche Vorgeschichte Orlas Steinchen für Steinchen zusammengetragen wird. Bald wird deutlich, dass auch Orla in Gefahr schwebt, aber wie und warum? Von einer normalen Kriminalgeschichte entwickelt sich das Buch stetigen Schrittes hin zu einem aufregenden Thriller, dessen lose Enden den Leser zum Weiterlesen zwingen. Hinzukommt – für den norwegischen Leser vielleicht noch mehr als für den deutschen, der so nah an Frankreich lebt – eine ungewöhnlich gute Einbeziehung des französischen Milieus und der Hauptstadt; Jorun Thørring scheint Paris geradezu bis in den letzten Winkel zu Fuß erwandert zu haben, so differenziert (und stimmig!) sind die Beschreibungen und die kleinen, am Rande erwähnten Details.
   
Þráinn Bertelsson: Walküren
dtv premium · 364 Seiten · 9,95 €

Als Freyja Hilmarsdóttir, Abgeordnete der Frauenpartei, tot aufgefunden wird, deutet alles zunächst auf einen Selbstmord hin. Aber dann zeigt sich, dass das Manuskript zu dem Buch verschwunden ist, an dem sie arbeitete: "Walküren" sollte es heißen und in brisanten Interviews schonungslos enthüllen, was die ehemaligen Ehefrauen zweier in der Öffentlichkeit stehenden Männer über diese zu sagen hatten: Magnús Mínus, Eigentümer der Mínus-Kaufhäuser, und Kjartan A. Hansen, Botschafter in Ottawa... Der Roman von Þráinn Bertelsson ist ein spannendes und ernüchterndes Spiegelbild der sozialen und politischen Verhältnisse Islands. Es ist ein Roman, der aufräumt mit den verklärenden romantisierenden Ansichten vom Land und zeigt, das Island nicht mehr die abgeschiedene Insel, unberührt vom weltpolitischen Geschehen, ist – wenn es das überhaupt jemals war. Trotz ihrer Erfolge und einer Art sozialer Kompetenz, trotz ihrer Bildung und Karriere gibt es im Leben aller auftretenden Personen etwas, das sie bei allem Erfolg zugleich als "Loser" erscheinen lässt, immer auf der Suche nach etwas. Es ist diese Mischung aus menschlicher Tragödie, aus politisch-gesellschaftlichem Sumpf und Korruption, die den Roman mitreißend macht und dem Leser viel Nachdenkenswertes bietet.